„Ich spiele mit großen und exotischen Computern“

Quantencomputer über Rechenzentren zugänglich machen

Dass sich in Sachen Quantencomputer momentan viel bewegt, steht für Stefan Huber außer Frage. Dennoch lässt sich der Mathematiker von allzu euphorischen Erwartungshaltungen nicht anstecken und sieht der Zukunft der neuen Technologie gelassen entgegen. Zusammen mit seinem Team am Leibniz-Rechenzentrum arbeitet er daran, Quantencomputing als neuen Service für die Wissenschaft auszubauen.

Von Maria Poxleitner

Die Zukunft des Quantencomputing in bunten, schillernden Farben auszuschmücken kommt Stefan Huber nicht in den Sinn. „Es gibt jetzt keinen Grund, besonders pessimistisch zu sein“, lautet seine nüchterne Einschätzung. Der 31-jährige Physiker und promovierte Mathematiker sitzt in seinem Büro am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ). Grüner Kapuzenpulli, Jeans, die Füße mit den roten Sneakern locker überschlagen. „Es gibt eine Handvoll Aufgaben, wo man weiß, dass ein Quantencomputer besser ist als ein klassischer Computer, es gibt eine Handvoll Aufgaben, wo man weiß, dass es nicht so ist und es gibt ganz viele Bereiche, wo man gar nichts weiß“, kommentiert Stefan den Status quo.

Immerhin – neue Ideen in der Anwendungsforschung und die Entwicklungen der letzten Jahre auf der Hardware-Seite sind ausreichend Motivation für den Mathematiker, um sich in seiner Arbeit am LRZ ganz konkret mit der Frage zu befassen, wie man Quantencomputer den Nutzer:innen des Rechenzentrums künftig zugänglich macht. Als Rechenzentrum besteht eine der grundlegenden Aufgaben des LRZ darin, der Wissenschaft Rechenressourcen zur Verfügung zu stellen und einen reibungslosen Betrieb zu sichern. Mit dem SuperMUC-NG besitzt das LRZ sogar einen der leistungsstärksten Superrechner weltweit. Nun möchte man auch das Quantencomputing als allgemeinen Service ausbauen und Wissenschaftler:innen ermöglichen, über eine Cloud auf die neue Technologie zuzugreifen.

Was kostet Rechenzeit auf einem Quantencomputer?

Was aber beim SuperMUC-NG längst gang und gäbe ist, wirft bei Quantencomputern noch viele offene Fragen auf. Mit einigen davon ist Stefan betraut: „Ein Problem zum Beispiel ist, dass es beim Quantencomputing noch keine etablierte Einheit gibt, die mit CPU-Stunden vergleichbar wäre.“ CPU steht für Central Processing Unit und bezeichnet die Hauptprozessoren der Computerhardware. So wie Stromverbrauch Kosten verursacht und in Kilowattstunden abgerechnet wird, so entstehen auch bei der Nutzung von Rechenressourcen, die ein Rechenzentrum zur Verfügung stellt, Kosten. Je mehr und je länger die Prozessoren für eine Berechnung in Anspruch genommen werden, desto teurer wird es. Abgerechnet wird also letztlich in CPU-Stunden. Bei Quantencomputern müsste man eine sinnvolle Einheit erst noch ausdiskutieren, erklärt Stefan. Hier sei beispielsweise eine schwierige Frage, wie die Arbeitszeit zu berücksichtigen sei, die es braucht, die Quantencomputer zu kalibrieren: „Der SuperMUC ist völlig unbemannt, der läuft einfach. An den Quantencomputern muss hingegen noch ständig rumgeschraubt werden.“

Die Quantencomputer am LRZ befinden sich im QIC, dem Quantum Integration Centre. Dort befinden sich mittlerweile mehrere Maschinen, die  auf unterschiedlichen Plattformen basieren. Eines der Ziele sei es, die Gerätschaften langsam auf eine unbemannte Umgebung vorzubereiten, sodass sie später auch mal ohne Laborumgebung betrieben werden können, erklärt Stefan. Er selbst sei aber nur selten im QIC, da er kein „Laborphysiker“ sei, wie er selbst sagt. Die mathematische Seite der Physik habe es ihm während seines Studiums mehr angetan.

Stefan Huber, 31


Position

Wissenschaftlicher Mitarbeiter


Institut

Leibniz-Rechenzentrum (BAdW)
Q-DESSI


Studium

Physik & Mathematik


Stefan entwickelt Lösungen, um Quantencomputing als neuen Service am Leibniz-Rechenzentrum zu ermöglichen. Dabei geht es um ganz konkrete Fragen wie beispielsweise die Kosten, die bei der Nutzung dieser Rechenressource entstehen. Zudem berät er Wissenschaftler:innen, welche der verschiedenen Hardware-Technologien, die am LRZ zur Verfügung stehen, sich am besten für deren jeweiliges Forschungsprojekt eignet.

Stefan im gemeinsamen Arbeitsraum der „Q-Crew“.

Der gebürtige Vorarlberger wuchs in Lustenau auf, nur 200 Meter von der Schweizer Grenze entfernt, und beherrscht daher neben Vorarlbergerisch auch Schweizerdeutsch – „Oder was auch immer man da spricht“, schiebt Stefan mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln hinterher. Für das Physikstudium ging er an die ETH Zürich. Die Entscheidung für die renommierte Universität war zunächst eine eher pragmatische: Es sei die geografisch nächstgelegene Uni gewesen, erzählt Stefan. „Es war ein willkommener Nebeneffekt, dass die Uni auch ziemlich gut ist“.

In einer Familie mit lauter Sprach- und Literaturwissenschaftlern sei er mit Physik etwas aus der Reihe getanzt, meint der 31-Jährige. „Als ich begonnen habe zu studieren, dachte ich, dass mich die Astronomie interessiert, ich habe dann aber schnell gemerkt, dass das nicht meins ist.“ Letztlich war die Quanteninformationstheorie das Fachgebiet, dass es ihm besonders angetan hat – insbesondere das mathematische Gerüst dahinter. Für die Promotion wechselte er von Zürich nach München an den Lehrstuhl für Mathematische Physik der Technischen Universität. Zwar sei das Problem, mit dem er sich in seiner Doktorarbeit befasst habe, nämlich wie viel Information man über eine Photonenleitung schicken kann, physikalisch motiviert. Doch die Hauptarbeit – „Es hat schon seinen Appeal dann mit den Funktionen und Ungleichungen herumzuspielen“ – sei relativ entkoppelt von der ursprünglichen Fragestellung gewesen.

Lernen, wie man große Computer managet

Nach der Promotion trat der Wissenschaftler zunächst eine Stelle am LRZ an, die nicht unmittelbar auf seinem bisherigen Ausbildungsweg aufbaute. „Ich habe alles gemacht, was so mit Serverbetrieb zu tun hat“, erzählt Stefan. In den Forschungsgruppen, die für ihn in Frage gekommen wären, seine Forschung fortzuführen,  habe es zu jenem Zeitpunkt keine freien Postdoc-Stellen gegeben und die Arbeit mit Computern hätte ihn schon immer interessiert: „Seit ich 15 Jahre alt bin, verwende ich auch privat nur Linux auf meinen Computern.“ Bevor die ernsthafte Überlegung aufkam, nochmal in die Forschung zu wechseln, sei bereits absehbar gewesen, dass es eine Quantenabteilung am LRZ geben würde. „Und die 1,5 Jahre dazwischen hat es auch nicht geschadet, zu lernen, wie man große Computer managet“.

Mit dem SuperMUC-NG gilt es am LRZ einen besonders großen Computer zu managen. Die Reihen von schwarzen Serverschränken mit den vielen miteinander verkabelten Recheneinheiten, den blinkenden LEDs und der dröhnenden Kühlanlage benötigen ein eigenes Stockwerk im sogenannten Rechnerwürfel des LRZ. Quantencomputer hingegen sind – nicht unbedingt, was die räumlichen Ausmaße betrifft, jedoch die Anzahl der Qubits – noch klein. „Zu meinen Freunden sage ich immer, dass ich mit großen und exotischen Computern spiele“, sagt Stefan. Quantencomputer in klassische Supercomputer zu integrieren ist ein weiteres Ziel der Quantenabteilung am LRZ. „Es gibt Probleme, von denen man vermutet, dass man sie so zerlegen kann, dass man einen großen Teil auf einem Superrechner rechnet und nur einen kleinen Teil auf einen Quantencomputer auslagert“, erklärt der Mathematiker. Es bestehe also die Hoffnung, dass bereits mit NISQ-Computern, also mit ersten kleinen und fehlerbehafteten Quantencomputern, etwas erreicht werden könne. Und zwar, indem sie für bestimmte Probleme als Beschleuniger im klassischen Supercomputer eingesetzt würden.

Trotz seiner gerade mal 31 Jahre ist Stefan einer der alten Hasen in seiner Abteilung. „Ich war das erste Mitglied der Quanten-Gruppe am LRZ“, erzählt der Wissenschaftler. Erst später ist aus der Gruppe eine eigenständige Abteilung geworden. Mittlerweile hat Stefan über 30 Kolleg:innen, die zusammen mit ihm daran arbeiten, den Service „Quantencomputer“ am LRZ zu realisieren. Für sein Team ist er ein verlässlicher Ansprechpartner – auch wenn es darum geht, Licht in den Verwaltungs-Dschungel zu bringen: „Da ich bald an die fünf Jahre hier arbeite, habe ich das Dickicht der Bürokratie bereits etwas durchschaut, weshalb die anderen bei solchen Dingen oft auf mich zukommen.“ Die Frage, ob ihn das störe, tut er mit einem entspannten Schulterzucken ab: „Das passt schon.“

Karate und Cubes

Ein alter Hase ist Stefan auch in seinem Karate-Verein, dem er, seit er mit sechs Jahren mit der Sportart angefangen hat, treu geblieben ist. Vor Kurzem habe er 25-jähriges Mitgliedschaftsjubiläum gehabt. „Quasi silberne Hochzeit“, ergänzt er. Als Jugendlicher trainierte er im österreichischen Jugendnationalteam, heute engagiert er sich in der Vereinsleitung und ist selbst als Trainer aktiv. Jedes Wochenende fährt er von München in seine alte Heimatgemeinde nach Lustenau, um das Training abzuhalten. Er hätte Glück gehabt, dass es die erste Sportart gewesen sei, die er ausprobiert habe, meint Stefan – „und sie ist mir geblieben“. Was ihm daran so gefällt: „Dass Karate so endlos vielseitig ist und für sehr unterschiedliche Leute was dabei ist“. Eine längere Trainingspause gab es während des Studiums. Die Zeit, die er bis dahin dem Kampfsport eingeräumt hatte, wurde in dieser Zeit einem anderen Hobby zuteil, das von Stefan nicht minder ernsthaft angegangen wurde: „Ich habe an ‚Rubik’s Cube‘-Wettbewerben teilgenommen.“ Rubik’s Cube ist ein bekanntes Drehpuzzle, bei dem am Ende alle Kacheln gleicher Farbe auf eine Seite des Würfels sein müssen. Den Rubik’s Cube schneller zu lösen als seine Konkurrent:innen habe damals seine Wochenenden gefüllt. „Ich bin viel gereist und auch zu Weltmeisterschaften nach Übersee geflogen“, erzählt Stefan, der in dieser Zeit auch einmal den neunten Platz in der Weltrangliste besetzte. Seit er wieder jedes Wochenende Karate mache, gehe er nicht mehr aktiv auf Turniere. Aber Rubik’s Cubes werden natürlich weiterhin gelöst.

Nach dem Wochenende, das ganz den persönlichen Hobbys gewidmet ist, ist der Kopf wieder frei für die Aufgaben am LRZ. Zukünftig wird es auch einen größeren Teil von Stefans Arbeitszeit einnehmen, Wissenschaftler:innen darin zu beraten, welche Rechenressourcen, also zum Beispiel welche spezifische Quantencomputer-Plattform, für deren jeweiliges Projekt am sinnvollsten ist. Was ihm daran besonders gefalle, sei die Möglichkeit, mitzubekommen, was sich in seinem alten Forschungsgebiet abspiele, meint der Wissenschaftler. „Aber nicht nur in meinem Unterunterforschungsgebiet, sondern breiter.“ In München habe man mittlerweile, auch aufgrund des Munich Quantum Valley, eine ganze Menge Forschungsgruppen im Bereich der Quanteninformationsverarbeitung, stellt Stefan fest, und man könne sich mit Forschenden und Industrievertretern mit unterschiedlichsten Backgrounds und Spezialisierungen austauschen. „Ich mag es, den Überblick zu behalten und zu sehen, woran in den verschiedenen Teilgebieten geforscht wird.“

Erstmal wird Stefan seiner Q-Crew, wie sie sich am LRZ nennen, treu bleiben. „Momentan tut sich viel und es tut sich schnell viel auf dem Gebiet“, findet der Mathematiker. In ein paar Jahren werde man sehen, ob und wie sich dieses Fachgebiet konsolidiere und dann werde man weiterschauen – „aber noch ist es jedenfalls nicht langweilig.“

 

Veröffentlicht am 28. Juni 2024; Interview am 30. April 2024