Dass Santana Lujan einmal in der Wissenschaft arbeiten würde, hätte er selbst niemals erwartet. Heute forscht er daran, wie man die Hardware von Quantencomputern optimal steuern kann. Was ihn dabei stets antreibt, sind seine Neugier, Neues auszuprobieren und seine Freude, immer wieder dazuzulernen.
Von Veronika Früh
Frühmorgens, gegen 6:30 Uhr, wenn Santana Lujan das Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Oberpfaffenhofen, westlich von München, erreicht, ist es noch ruhig. Er schließt sein Fahrrad ab – mit dem Rad braucht er nur wenige Minuten von Zuhause – und läuft auf dem Weg in sein Büro über die Kommandobrücke. Ein Livestream zeigt auf großen Bildschirmen die Astronaut:innen auf der Internationalen Raumstation ISS. Wenn Santana zum richtigen Augenblick kommt, sieht er, wie die Sonne hinter der Erde auftaucht. Ein Anblick, der ihn wieder und wieder erfreut. Der 33-Jährige ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am DLR und arbeitet hier an optimalen Steuersequenzen für Quantensysteme.
„Als ich mit meinem Masterstudium angefangen habe, wusste ich noch nicht mal, was ein Quantencomputer ist“, erzählt Santana Lujan und lacht. In seinem Büro steht der 33-Jährige an einem höhenverstellbaren Schreibtisch, hinter ihm ein in vielen Farben randvoll beschriebenes Whiteboard, das von mehreren Brainstorming-Sessions zeugt. Auch bis zu seinem Masterstudium in Informatik war sein Weg eher ungewöhnlich, wie er es bezeichnet. Die Affinität zu Computern sei jedoch schon früh da gewesen. „Ich wollte als Kind MediaMarkt-Verkäufer werden“, sagt er mit einem breiten Grinsen. Den ganzen Tag von den vielen coolen Elektrogeräten umgeben zu sein, das stellte er sich damals toll vor.
Nach dem Realschulabschluss machte Santana dann aber doch lieber noch sein Fachabitur im technischen Zweig und fing an, Informatik zu studieren. „Zu der Zeit gab es noch Studiengebühren, das war für mich dann recht schwer zu stemmen“, erzählt er. Also habe er sein Studium nach zwei Semestern abgebrochen und eine Ausbildung zum Fachinformatiker im Bereich Systemintegration angefangen. Das Informatikstudium, Studiengebühren waren mittlerweile abgeschafft worden, reizte ihn aber auch nach Abschluss seiner dreijährigen Ausbildung noch. Wegen einiger verpasster Fristen – er muss bei der Erinnerung kurz lachen – durfte er sich jedoch nicht erneut für Informatik einschreiben. „Ich hab‘ dann Elektrotechnik studiert“, erzählt Santana. „Das war auch ziemlich interessant und hat meine Zuneigung zu hardwarenaher Programmierung stark gefördert.“ Neben dem Studium arbeitete er bereits als Embedded-Software-Entwickler, erst als Praktikant, dann als Werkstudent und schließlich in Vollzeit.
Doch der Wunsch, Informatik zu studieren, war nach wie vor ungebrochen – und erfüllte sich endlich mit dem Masterstudium, für das sich Santana trotz Vollzeit-Job entschied. Hier kam er auch zum ersten Mal mit dem Thema Quantencomputing in Kontakt, in einer Vorlesung zur Quantensoftwareentwicklung im letzten Mastersemester. Für Santana ein völlig neues Thema, das ihn sofort so sehr packte, dass er seine Masterarbeit in diesem Bereich schreiben wollte: „Das war für mich so etwas Obskures und Neues, das man anfangs nicht verstanden hat. Aber gleichzeitig mit dem Charme, dass man damit solche ganz aktuellen Sachen machen kann, das hat mich ziemlich fasziniert.“ Und es habe ihn motiviert, nicht den für ihn einfachen Weg zu gehen, sondern in seiner Masterarbeit nochmal etwas ganz Neues zu machen. „Da hört man dann so coole Sachen wie Teleportation und dann implementiert man das. Und in der Theorie funktioniert es!“, erklärt er lachend. „Ich wusste davor halt nichts über Quantencomputer. Und das ist auch irgendwie der Reiz gewesen.“ Für seine Masterarbeit über Quantenkontrolltheorie kam er ans DLR. In der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining arbeitet er heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Quantum Space Operations Center (QSOC), das alle Aktivitäten im Bereich der Quantenforschung am Institut bündelt.
Position
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Institut
DLR – Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining & Quantum Space Operations Center
HAT
Studium
Elektrotechnik & Informatik
Santana modelliert in seiner Forschung Pulssequenzen mithilfe von Kontrolltheorie für die optimale Steuerung von Quantensystemen. Damit sollen mögliche Fehler, die ein Quantencomputer macht, vermieden werden.
In der Kontrolltheorie geht es darum, Steuersequenzen zu finden, um ein Quantensystem so zu steuern, dass es Operationen optimal ausführt. Die Optimierung kann sich dabei beispielsweise auf die Zeit beziehen – Operationen sollen möglichst schnell ausgeführt werden – oder auf die Robustheit – Operationen sollen möglichst wenig anfällig für Schwankungen in den Umgebungsparametern sein. „Das Schöne ist: Der Algorithmus an sich ist plattformunabhängig, aber am Ende packst du es auf eine Plattform und probierst es aus“, erklärt Santana. Die optimalen Pulssequenzen modelliert Santana anhand theoretischer Modelle, bevor sie experimentell auf der Hardware getestet werden. Aktuell arbeitet er dafür eng mit dem Walther-Meißner-Institut (WMI) zusammen. „Inzwischen hat das WMI eine Cloud-Anbindung, für die ich quasi einer der Beta-Tester bin“, beschreibt Santana den Ablauf: „Ich bereite meine Experimente vor und bin zusammen mit dem Experimentalisten in einem Call. Dann sende ich meine Experimente rüber, er schaut, dass alles richtig ankommt und dann kriege ich meine Ergebnisse zurück.“ Die große Herausforderung sei es dann, die Ergebnisse, die nicht ganz der Theorie entsprechen, zu interpretieren. Daraus die richtigen Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen, sei alles andere als trivial: „Wenn Bausteine in der Theorie eine bestimmte Sache fordern, muss man sich stark überlegen, wie man das auf einem Hardware-System macht. Du musst dir was Cleveres überlegen.“ Dass er als MQV-Wissenschaftler dezidierten Zugang zu den eigenen Systemen im Ökosystem hat, ohne lange Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen, freut den Informatiker besonders. „Das ist halt cool! Nur du fährst die Experimente, kriegst die Ergebnisse zurück und dann kannst du direkt weiter machen“, schwärmt er.
„Kontrolltheorie ist ein notwendiger Schritt in der Entwicklung fast aller Quantencomputerplattformen“, betont der Wissenschaftler. Mit der reinen Kalibrierung von Gates käme man eben nur so und so weit: „Dann verändern sich die Systemparameter ein bisschen und am nächsten Tag funktioniert dein Gate nicht mehr gut. Mit Kontrolltheorie kann man viele solcher Sachen bekämpfen.“ Verglichen mit der Fehlerkorrektur, einem anderen Thema im Bereich der Quanteninformationsverarbeitung, geht es darum, Fehler im System von vorneherein zu vermeiden. „Danach kannst du Fehlerkorrektur noch zusätzlich machen. Oder man verbindet beides ein bisschen, daran arbeiten wir auch gerade“, erklärt er.
Neben dem Design optimaler Pulssequenzen arbeitet Santana mit verschiedenen Mitgliedern und Partnern des MQV auch an Schnittstellen, die es ermöglichen, Pulsprogramme direkt auf die unterschiedliche Hardware zu spielen. Für Quantenschaltkreise wurde und wird im MQV bereits intensiv an einer einheitlichen Schnittstelle geforscht, die Hersteller von Quantenhardware implementieren können. Pulse liegen noch eine Ebene tiefer. Im Fall von supraleitender Hardware handelt es sich dabei beispielsweise um Mikrowellen, bei Hardware, die auf Neutralatomen basiert, um Laserstrahlen. „Für uns aus der Kontrolltheorie ist es wichtig, solche Pulsprogramme an verschiedene Plattformen zu bringen, um unsere Experimente zu fahren“, erklärt Santana. „Wenn ich mir zum Beispiel ein ganz tolles theoretisches Gatter ausgedacht habe, dann muss ich das ja auch irgendwie auf der Plattform ausführen können. Ziel ist es, analog zum Fall der Quantenschaltkreise, eine Pulsschnittstelle zu definieren, quasi eine einheitliche Sprache.“
Der Anstoß, über eine solche Pulsschnittstelle nachzudenken, kam von Santana in einem bereichsübergreifenden Meeting, in dem der Munich Quantum Software Stack vorgestellt wurde. Sich in verschiedene Vorträge und Kolloquien setzen, anhören was in den Bereichen außerhalb des eigenen Forschungsfokus passiert – diese Möglichkeit nutzt der 33-Jährige ohnehin gerne, wann immer er die Zeit dafür findet. „Da habe ich einfach mal gefragt, wie es aussieht mit so einer Pulsschnittstelle“, erzählt er im Rückblick. Jetzt gehe es darum, sich die Schnittstelle zunächst auszudenken und dann testweise zu implementieren. Einheitliche Schnittstellen auf verschiedenen Ebenen sind dann auch für die Industrie, speziell die Anbieter von Hardware, interessant. Für Santana kommt ein persönlicher Anreiz dazu: „Als Software-Mensch mag ich einfach Schnittstellen und standardisierte Zugänge. Das ist mir sehr wichtig“, sagt er und lacht.
Mit seinem Hintergrund als Software-Entwickler in der Industrie bringt Santana auch einen eigenen Blickwinkel mit. Programmieren für die Wissenschaft sei oft einfach anders, auf ein bestimmtes Experiment zugeschnitten. In seiner Ausbildung lag der Fokus jedoch darauf, Software zu schreiben, die erweiterbar, wartbar und wiederverwendbar ist. Die Umstellung von „perfekte Software schreiben“ zu „gute Software schreiben“ sei besonders am Anfang eine große Herausforderung für ihn gewesen. „Ich wollte alles perfekt machen, so wurde ich geschult, so musste es sein“, erzählt er. Dass für ein Experiment häufig auch schon weniger ausreichend ist, musste er erst lernen. Dass er jedoch auch seinen für Experimente entwickelten Code in der Regel wiederverwenden und anpassen kann – dabei kommt ihm sein in der Software-Branche erlernter Perfektionismus wiederum zugute. „Früher habe ich Software entwickelt, um sie zu verkaufen. Jetzt entwickle ich Software, um sie als Werkzeug für wissenschaftliche Tätigkeiten einzusetzen. Und das macht mir unglaublich viel Spaß. Ganz im Herzen entwickle ich einfach gerne Software“, fasst der 33-Jährige es zusammen.
Die Tatsache, dass er heute in der Forschung arbeitet, ist etwas, das Santana mit Stolz erfüllt. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in die Wissenschaft gehe“, erzählt er. „Ich hatte früher echt große Probleme mit der Schule.“ Zu autoritär und eingeschränkt empfand er sie damals. Wie wohl er sich heute in seinem fachlichen Bereich fühle, den er mehr oder weniger zufällig entdeckt hatte – ein kleines bisschen ungläubig wirkt er bei seiner Erzählung immer noch.
Was die Zukunft für ihn bereit hält, kann Santana gerade noch nicht absehen, feste Pläne hat er noch keine. „Soll ich einen Ph.D. anfangen oder nicht, das ist die Hauptfrage, die mich gerade umtreibt“, erzählt er. Reizen würde es ihn sehr, aber als junger Vater fragt er sich, ob er noch die Zeit dafür aufbringen kann und will. Familie gegen Karriere – dieses Klischee gefällt ihm eigentlich nicht, doch alles unter einen Hut zu bekommen, das stellt er sich schwierig vor. Auch dass er mit 33 Jahren später dran ist als die meisten, die einen Ph.D. anfangen, treibt ihn um. Aber nicht allzu sehr.„Ich freue mich jedes Jahr auf meinen Geburtstag, ich liebe es älter zu werden“, betont er. „Ich habe letztens mein erstes graues Haar gefunden, ich war sehr stolz“, ergänzt er lachend. Wie es auch kommen mag, gerade ist Santana sehr zufrieden und fühlt sich am DLR angekommen. Von großen Träumen hält er ohnehin nicht so viel: „Ich denke lieber immer von kleinem Traum zu kleinem Traum.“
Die Motivation, ständig weiter dazuzulernen, Neues auszuprobieren und sich fachlich weiterzuentwickeln treibt Santana jedenfalls beständig an. So beginnt er seine Tage gerne damit „irgendwas zu rechnen, so zum Spaß. Damit ich es später aus dem Ärmel schütteln kann“, wie er es beschreibt und es wird deutlich, wie viel Freude er an seiner Arbeit hat. Das gesamte Umfeld am DLR inspiriere ihn ungemein, motiviere ihn intrinsisch stark. „Satelliten sind halt viel spannender als Autos“, meint er lachend und mit Blick auf einen früheren Arbeitgeber. Neben seinen Themen im Quantenbereich arbeitet Santana auch im Satelliten-Betrieb in der Telemetrie. Mit Machine-Learning-Methoden wertet er die großen Datenmengen aus, die von den Satelliten bei jedem Überflug über die Bodenstation in Weilheim gesendet werden, um Risikovorhersagen zu den Satellitensystem zu machen. Dann geht es wieder zurück zur Programmierung von Quantensystemen. Wenn seine Kolleg:innen Probleme mathematischer Natur haben, kommen sie zu Santana, der sie implementiert. Und wenn ihm alles einmal zu viel wird, geht er zurück auf die Kommandobrücke: „Auf der Brücke ist es dunkel und man kann einmal kurz von allem wegkommen, das hilft ungemein. Dann kommt man nach ein paar Minuten wieder, schaut auf sein Problem und denkt sich… Ah!“
Veröffentlicht am 29. November 2024; Interview am 20. August 2024