„Tensornetzwerke sind wie eine zweite Sprache für mich geworden“

Mit Tensoren Quantencomputer nachbauen

Schon in der Grundschule wollte Richard Milbradt Forscher werden – „damals hieß das für mich, ich gehe in den Dschungel und gucke mir Tiere an“ – heute forscht er an offenen Quantensystemen. Auch wenn sein Arbeitsplatz doch recht weit von einem Dschungel entfernt ist, seinen ursprünglichen Entdeckergeist hat Richard sich beibehalten.

Von Veronika Früh

Richard Milbradt führt durch die lichtdurchflutete Magistrale, das Herzstück der TUM School of Computation, Information and Technology (CIT) auf dem Forschungscampus Garching. Ein kurzer Blick auf die berühmte Parabelrutsche, dann biegt er auf den Flur mit seinem Büro ab. Seit knapp zwei Jahren forscht der 25-jährige Doktorand hier an der Simulation von offenen Quantensystemen mit Tensornetzwerken.

Als Richard nach seinem Physik-Bachelor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf nach München kam, um an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der TU München den Elite-Master-Studiengang "Theoretische und Mathematische Physik" zu studieren, wollte er seinen Schwerpunkt eigentlich auf Teilchenphysik und Astrophysik legen – „also das, was sich die meisten vorstellen, wenn sie anfangen Physik zu studieren“, erzählt er. „Um den nächsten Nobelpreis zur Relativitätstheorie zu gewinnen“, ergänzt er lachend. Doch er stellte schnell fest, dass ihm das überhaupt keinen Spaß machte. „Die Vorlesung zu Quanteninformation fand ich dafür großartig!“ So großartig, dass er direkt noch einen zweiten Master in Quantum Science & Technology drauflegen wollte. Ein Professor riet ihm jedoch direkt zur Promotion, und die offene Stelle bei Christian Mendl, dem gleichen Professor, bei dem Richard schon seine Masterarbeit geschrieben hatte, kam da wie gerufen.

„Man bekommt einen grafischen Ausdruck für etwas, das Physik ist“

Für seine Arbeit mit Tensornetzwerk-Methoden findet der Doktorand einfache Worte: „Ich mache quasi das, was ich in meiner Kindheit auch schon viel gemacht habe, und zwar mit Lego spielen.“ Mithilfe von Tensornetzwerken lässt sich Quanteninformation in Vielteilchen-Systemen theoretisch betrachten. „Das kann man mit mathematischen Formeln aufschreiben, oder man macht sich das Leben einfach und zeichnet lustige Symbole“, führt Richard aus.

Er malt Kreise, Dreiecke und Vierecke auf ein Whiteboard, füllt sie mit Formeln und verbindet sie mit Linien. Wie beim Lego, sei ein Baustein alleine noch ziemlich langweilig. Aber je mehr Bausteine man zusammenstecke, desto spannender würde es. „Und wenn man ganz viele Tensoren zusammensteckt, bekommt man nicht mehr nur mathematische Dinge, die viele Zahlen beinhalten, sondern einen grafischen Ausdruck für etwas, das Physik ist“, schwärmt der Doktorand. Ein Bild erzählt mehr als tausend Worte. Und ein Tensornetzwerkdiagramm erzählt so viel wie eine Seite Formeln. „Aber eben schön dargestellt“, findet Richard.

Richard Milbradt, 25


Position

Doktorand


Institut

Lehrstuhl für wissenschaftliches Rechnen (TUM)
HAT


Studium

Theoretische und Mathematische Physik


Richard forscht an offenen Quantensystemen, um zu verstehen, wie Quantensysteme reagieren, wenn sie mit der Umwelt reagieren. Zur Simulation der Systeme arbeitet er mit sogenannten Tensornetzwerken, einer anschaulichen grafischen Darstellung.

Tensornetzwerkdiagramme sind Richard so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er sie aus dem Kopf zeichnen kann.

Sobald er beginnt, über Tensornetzwerke zu sprechen, fangen Richards Augen an zu leuchten und der zuvor zurückhaltende Doktorand wird lebendig, wenn er mit seinen Händen Symbole und Linien in die Luft malt, um seine Erklärungen zu unterstreichen. Man merkt, hier sitzt eine Person, die genau das richtige Thema für sich gefunden hat. „Für mich sieht es in einem quantenmechanischen System genau so aus“, bestätigt Richard seine persönliche Begeisterung für das Thema. „Tensoren sind eine sehr gute Möglichkeit zu sehen, was quantenmechanisch passiert, ohne viel Mathe zu brauchen.“ Mittlerweile könne er riesige Diagramme von Hand aus dem Kopf zeichnen: „Dieser Prozess, dass das inzwischen zu einer zweiten Sprache für mich geworden ist, das macht schon Spaß“, freut er sich.

Quantencomputer simulieren

Neben dem Spaß, der für Richard persönlich in Tensornetzwerken steckt, haben sie auch einen praktischen Nutzen für das Quantencomputing. Mit Tensoren könne man Quantensysteme theoretisch so beschreiben, dass man sie, mit gewissen Einschränkungen, am Computer nachbauen und simulieren kann. Qubits lassen sich zum Beispiel als einzelne Tensoren mit kleinen Beinchen darstellen. Sind mehrere zuvor unabhängige Qubits nach dem Experiment an den Beinchen verbunden, hat man sie verschränkt.

Seine Ideen bringt der Doktorand zuerst klassisch aufs Papier, zeichnet Tensornetzwerke, „krakelt rum“, bis er erkennen kann, ob sich dadurch ein neues Problem lösen lässt. Dann kommt das Programmieren: „Die Idee ist ja, Quantensysteme mit Tensornetzwerken zu simulieren und dafür muss ich den Computercode schreiben.“ Seine handschriftlichen Notizen in etwas zu übersetzen, was ein Computer versteht, sei alles andere als trivial. „Computer sind eigentlich strohdumm“, lacht Richard, „und beim Testen fällt dann meistens auf, der Computer hat nichts davon verstanden, was ich ihm sagen wollte.“ Dann heißt es, so lange am Code zu feilen, bis er funktioniert. Im besten Fall kann Richard den Code dann auf ein interessantes physikalisches System anwenden.

Interaktionen von Quantensystemen mit der Umwelt erforschen

Richards besonderer Schwerpunkt liegt auf der Simulation von offenen Quantensystemen. Offen – das heißt, es gibt eine Interaktion mit der Umwelt. „Ich finde es spannend, von der einfachen Vorstellung wegzugehen, die man im Bachelor in der Quantenmechanik-Vorlesung hatte“, erklärt der Doktorand. „Ich gucke mir an, wie ist das, wenn das System nicht komplett abgeschlossen, sondern eben realistischer ist“.

Ein Antrieb ist für ihn unter anderem auch der inflationäre und teils esoterische Gebrauch des Quantenbegriffs: „Die Quantenmechanik, wie man sie in populärwissenschaftlicher Literatur findet, funktioniert so nur, wenn man sich ein einzelnes Teilchen, komplett isoliert, anguckt. Auf den Skalen der Menschheit funktioniert das alles nicht mehr. Deshalb ist so etwas wie Quantenheilung automatisch absoluter Mist.“ Was aber tatsächlich passiert, wenn Quantenteilchen innerhalb und außerhalb eines Systems miteinander interagieren, das möchte der Doktorand herausfinden.

Falsche Vorstellungen von Quantenphysik bekämpfen

Dass Quantenmechanik nicht so funktionieren kann wie beispielsweise im Film „Ant Man“ ist schonmal klar. Richard holt einmal tief Luft: Als der Film ins Kino kam hatte er mit seinen Kommiliton:innen ausgemacht, nicht physikalisch darüber zu reden. „Alles was da mit Quanten vorkam, war vollkommener Quatsch“, bricht es dann doch aus ihm heraus. Das Problem sei, dass Leute, die nur über solche Filme mit der Thematik in Berührung kommen, sich dann etwas völlig Falsches darunter vorstellen würden.

Outreach wie hier auf der FORSCHA 2023 macht dem Physiker Spaß.

Auch deshalb engagiert sich der Physiker in Formaten, die die Quantenphysik einem breiteren Publikum näherbringen sollen. Mit der Studierendeninitiative „PushQuantum“ zum Beispiel erklärte er auf den Quantentagen im Science Communications Lab des Deutschen Museum, was Quantentechnologien können, und auf der Wissenschaftsmesse „FORSCHA“ war er am Stand des MQV im Einsatz. „Das macht mir Spaß, weil man mit Leuten reden kann, die an meinem Thema zumindest ein bisschen interessiert sind. Ich bin ja auch irgendwann mal zu diesem Thema gekommen, weil es mich einfach interessiert hat“, erzählt Richard. Gleichzeitig bringe es ihn dazu, einen anderen Blickwinkel einzunehmen: „Wenn man anfängt, Physik, Mathe oder Informatik zu studieren, wird das Hirn in den ersten zwei Semestern darauf programmiert, auf eine andere Art und Weise, analytischer zu denken. Und wenn man mit den Leuten redet, muss man wieder zurückgehen.“ Dieser Spagat, verständlich zu bleiben und gleichzeitig „keinen Quatsch zu erzählen“, fiel ihm mit mehr Übung aber immer leichter.

Für die falsche Darstellung von Quantenphysik in Filmen hat Richard auch eine einfache Lösung: „Ich kann mich damit zufrieden geben zu sagen, das ist Magie.“ Auf Magie zu sprechen kommt der Physiker auch kurz, wenn es um seine beiden letzten Schuljahre geht, die er auf einem Internat in England verbracht hat. Welches, so kann er es bestätigen, viele Gemeinsamkeiten mit Hogwarts, der berühmten Zauberschule aus Harry Potter, aufweisen konnte. „Wir hatten einen alten Speisesaal, zwar ohne fliegende Kerzen, aber dafür mit Schilden an der Wand“, erzählt er. Auch die nach Jungen und Mädchen getrennten Häuser, die zum Ende jedes Trimesters Sportwettkämpfe untereinander austrugen, erfüllen die klischeehafte Vorstellung.

An seine Zeit in England und das Leben im Internat, das sich sehr von seinem Leben in Deutschland unterschied, erinnert sich Richard gerne zurück. „Dort war die Schule wirklich der Mittelpunkt, nicht nur akademisch, sondern auch für die Freizeitangebote. Das klingt jetzt kitschig, aber es hat meinen Horizont erweitert.“ Eigentlich war sein Aufenthalt am King’s College Taunton in Somerset nur für ein Jahr geplant. Da seine Eltern in der Zwischenzeit aber umzogen und Richard nicht für seinen Abitur nochmal an ein anderes Gymnasium wechseln wollte, blieb er für seinen Abschluss in England, bevor er zum Studium nach Düsseldorf zurückkehrte.

Auch wenn Richard seine alte Heimat Düsseldorf München als Wohnort vorziehen würde, genießt er es sehr, nur eine kurze Zugfahrt von den Bergen entfernt zu leben. Wenn das Wetter zu schlecht zum Wandern ist, geht er auch gerne mit Lehrstuhlkolleg:innen zum Klettern oder Bouldern – er wirft die Frage in den Raum, ob man ohne diese Hobbies überhaupt ein echter Physiker sei.

Enge interdiziplinäre Zusammenarbeit

Dass er auch in seiner Freizeit viel mit Kolleg:innen unternimmt, spricht sehr für das gute Verhältnis, das in der Gruppe herrscht. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: die gemeinsame Kaffeepause jeden Tag um halb drei, zu der bei allen möglichen Lebensereignissen Kuchen mitgebracht werden muss. „Ich denke, diese Entspanntheit zeichnet den Lehrstuhl ein bisschen aus. Man geht sehr freundschaftlich miteinander um“, erzählt Richard und betont, wie gut er es da getroffen habe. Sein Standardrezept: Marmor- oder Rotweinkuchen.

Es ist natürlich mehr als die gute Kuchenversorgung, die Richard in seiner Gruppe schätzt. Auch im wissenschaftlichen Kontext profitiert er von der engen Zusammenarbeit: „Wir haben Physiker, wir haben Mathematiker und wir haben Informatiker. Jeder hat ein anderes Wissen und wir überschneiden uns beim Quantencomputing.“ Das Munich Quantum Valley bietet ihm dabei ein gutes interdisziplinäres Netzwerk – allein in seiner Gruppe , sind Mitglieder aus vier verschiedenen MQV-Konsortien vertreten, da läuft der Austausch quasi von selbst.

Einen besonderen Vorteil sieht Richard in der auch räumlichen Nähe zu den Experimentalphysiker:innen in Garching. „Wir haben einen direkten Draht zu den Leuten am Max-Planck-Institut für Quantenoptik oder zu den Leuten am Walther-Meißner-Institut, die da jeweils ihre Quantencomputer bauen.“ Das sei sehr praktisch, so könne man einfach mal nachfragen, mit welchen physikalischen Systemen die Kolleg:innen arbeiten und anhand deren Parameter den eigenen Code ausprobieren. „Irgendwann geht es dann andersrum, wenn wir für die Kolleg:innen etwas simulieren“, erklärt Richard. „Zugegebenermaßen, an diesem Punkt sind wir noch nicht ganz. Aber das wäre dann der nächste Schritt.“

Veröffentlicht am 29. März 2024; Interview am 10. November 2023