„Mein Herz schlägt für die Physik“

Mit Quantenpunkten der Quantenkommunikation einen Schritt näherkommen

Wie man auf ein langfristiges Ziel hinarbeitet, lernte Michelle Lienhart als ambitionierte Schwimmerin schon früh. Heute helfen ihr ihr Durchhaltevermögen und ihr Ehrgeiz bei ihrer Promotion auf dem Gebiet der Quantenpunkte. Angetrieben wird sie dabei stets von ihrer Neugierde und Begeisterung für die Physik. 

Von Veronika Früh

„Moment, ich muss mir noch kurz die Gummihandschuh-Hände waschen!“, ruft Michelle Lienhart, als sie, Hausschuhe an den Füßen, aus ihrem Labor am Walter Schottky Institut (WSI) gelaufen kommt. Sie musste noch schnell die Laserkühlung einschalten, damit es später direkt weiter gehen kann. Hier am Institut in Garching promoviert die 27-jährige MQV-Stipendiatin in der Experimentalphysik im Bereich der Quantenpunkte.

Die Kühlung der Laser im Labor einschalten – damit starten die allermeisten von Michelles Arbeitstagen: „Ich drücke zwei Knöpfe, dann habe ich noch etwa eine halbe, dreiviertel Stunde Zeit, im Büro meine Mails zu checken, während die Laser kalt laufen.“ Das ist wichtig, damit die leistungsstarken Laser später bei Michelles Experimenten nicht überhitzen. Bis die Laser nach dem Anschalten hochgefahren sind, dauert es dann auch nochmal einige Minuten. Und dann kommt erstmal die Friemelarbeit. „Meistens bin ich so zwei Stunden damit beschäftigt, alles einzustellen“, erzählt Michelle. Der Laserstrahl muss perfekt ausgerichtet werden, um am Ende optimal auf die Probe zu treffen und auf dem Weg durch die zahlreichen Optiken und Spiegel nicht an Intensität zu verlieren. Und auch von der Probe zum Detektor sollten möglichst wenige Photonen verloren gehen. Dabei geht es um Mikrometer. „Das ist immer ein langes, eher nerviges Prozedere, finde ich“, räumt Michelle ein, „weil es jeden Tag immer das gleiche ist und es sind schon sehr, sehr viele Schritte“. Aber das sei eben der Preis, wenn man so präzise arbeite. Mittlerweile hat sich bei der Doktorandin eine gewisse Routine eingestellt, doch auch wenn sie schon schneller als zu Beginn sei, das System komplett vom Laser zur Probe und dann zum Detektor einmal durchzugehen, dauere eben seine Zeit. „Bis dann alles passt, ist es meistens kurz vor dem Mittagessen“, erzählt Michelle lachend. Dann beginnt sie mit einigen Charakterisierungsmessungen, um ihr System zu überprüfen. Und dann geht es endlich los.

Forschung an künstlichen Atomen

Quantenpunkte, das Thema an dem die Doktorandin forscht, werden auch als künstliche Atome bezeichnet. Sie bestehen aus zehntausenden Atomen; aufgrund ihrer Größe im Nanometer-Bereich, können jedoch quantenmechanische Effekte auftreten, die denen in einem einzelnen Atom ähneln. Diese künstlichen Atome haben den Vorteil, dass sich ihre physikalische Eigenschaften sehr gut durch Material und Geometrie des Quantenpunkts festlegen lassen. Auch als Einzelphotonenquelle lassen sich Quantenpunkte gut einsetzen, weshalb sie im Bereich des Quantencomputing und der Quanteninformation für die Forschung von großer Bedeutung sind. Michelle arbeitet mit Quantenpunkt-Molekülen, zwei übereinander gewachsene Quantenpunkte, die durch ihren geringen Abstand gekoppelt sind. „Mein Ziel ist es, Spins in den Quantenpunktmolekülen mit Photonen zu verschränken“, erklärt die Doktorandin. „Im weitesten Sinne ist das Ziel natürlich, dass man durch diese verschränkten Photonen der Realisierung eines Quantencomputers näherkommt“, wirft sie einen Blick auf das große Ganze. „Und da sind die Quantenpunktmoleküle ein sehr vielversprechender Kandidat.“

Michelle Lienhart, 27


Position

MQV-Promotionsstipendiatin


Institut

Walter Schottky Institut – Lehrstuhl für Halbleiter-Nanostrukturen und Quantensysteme


Studium

Physik und Informatik


Michelle forscht an Quantenpunktmolekülen, die aus zwei gekoppelten Quantenpunkten, auch künstliche Atome genannt, bestehen. Ihr Ziel ist es, Spins in den Quantenpunktmolekülen mit Photonen zu verschränken und damit der Realisierung von Quantencomputing und Quantenkommunikation einen Schritt näher zu kommen.

Alle Komponenten in Michelles Aufbau müssen genauestens justiert sein, bevor sie ihre Experimente starten kann.

Die Quantenpunktmoleküle selbst werden in Bochum produziert und in Berlin weiterverarbeitet, bevor sie am WSI im Reinraum fertiggestellt werden. „Hier werden noch ein paar Sachen runter geätzt und Goldkontakte angebracht“, erklärt Michelle. Bisher arbeitet sie noch mit der Probe ihres Vorgängers, doch wenn die nächste Probe bei ihr im Labor ankommt, gehört die Fabrikation des Quantenpunkt-Moleküls auch zu ihren Aufgaben. Dass die Fabrikation so viele Schritte an verschiedenen Orten durchläuft und vielfältige Aufgabenbereiche daran beteiligt sind, diesen möglichen Kandidaten für die Quantencomputing-Technologie herzustellen, fasziniert Michelle sehr. Besonders das Gefühl von Gemeinschaft, das sich daraus ergibt, gefällt ihr: „Wenn man im Labor steht, hat man manchmal das Gefühl, dass man das alleine macht. Aber eigentlich forscht man zusammen an diesem großen Ziel und jeder arbeitet an seinem Teil. Und auch wenn das Ziel noch weiter in der Zukunft liegt, kann man in zehn Jahren vielleicht sagen, man hat einen bisschen zum Fortschritt in den Quantentechnologien beigetragen.“

Dass Michelle thematisch bei den Quantenpunkten gelandet ist, war auch ein wenig dem Zufall zu verdanken – „hat sich super ergeben“, erzählt sie. Ihre Bachelorarbeit, mit dem sie ihr Physik-Studium an der Universität Augsburg abschloss, schrieb die 27-Jährige in der Biophysik. Und auch wenn ihr die Arbeit zur Zellerkennung mit Maschinellem Lernen sehr viel Spaß machte – als sie mit Kolleg:innen am selben Lehrstuhl ins Gespräch über Quantenpunkte kam, fand sie dieses Thema noch ein bisschen spannender. „Am Anfang im Bachelor fängt man irgendwo an, man weiß ja noch gar nicht, was man machen will“, erinnert  sie sich. Für ihr Physik-Masterstudium wusste Michelle dann dafür umso genauer, in welche Richtung es gehen soll, und legte den Schwerpunkt auf die Halbleiterphysik und Optik und beschäftigte sich in ihrer Masterarbeit mit Quantenpunkten.

Angetrieben von Neugierde

„Allgemein kann ich mich für sehr vieles begeistern, weil mich die Physik einfach interessiert“, erzählt die Doktorandin. Dass sie Physik studieren möchte, war ihr deshalb schon zu Schulzeiten früh klar – und sie hat das Studium „zu 100% gerne“ gemacht. Als ihr im Rahmen ihrer Bachelorarbeit auffiel, dass ihr die Informatik dabei hilft, schneller ans Ziel zu kommen, nahm sie kurzerhand ein Doppelstudium auf und machte auch in diesem Fach ihren Bachelorabschluss. „Man muss ja immer Daten auswerten, Dinge programmieren“, begründet sie ihre Entscheidung. Das Programmieren und über Algorithmen nachzudenken habe ihr sehr viel Spaß gemacht – „aber mein Herz schlägt für die Physik“, sagt Michelle und strahlt dabei.

Die Neugierde treibt Michelle auch in ihrer jetzigen Arbeit immer weiter an. Wenn ihr System perfekt justiert ist und im Labor alles läuft, vergisst sie auch gerne mal die Zeit. „Wenn ich sehe, es funktioniert alles und es kommen spannende Ergebnisse raus, dann kann ich auch nicht aufhören“, erzählt die Doktorandin. „Diese Neugierde treibt mich dann immer weiter“, sie hält kurz inne, „und dann vergehen die Stunden einfach.“ So kommt es, dass Michelle häufig auch bis spät abends im Labor sitzt und ihre Messungen durchführt. „Unser Labor ist dunkel, da bekomme ich gar nicht mit, was draußen passiert“, lacht sie. Dass sie dafür vielleicht an einem anderen Tag darauf verzichten kann, ihr Experiment zwei Stunden lang einzustellen, ist eine willkommener Nebeneffekt.

Der optische Kopf: hier laufen alle Pfade aus dem Experiment zusammen und werden nach unten zur Probe weitergeleitet.

Die Halterungen der optischen Komponenten, dicht angeordnet in Michelles Versuchsaufbau, funkeln in einem hellen Lila mit goldenen Schrauben. „Ich habe mir gedacht, Wissenschaft muss ja nicht immer so ernst sein“, erklärt die Doktorandin ihre Entscheidung für die bunten Bauteile und gegen die übliche schwarz-silberne Kombination. Alle Pfade, die sich der Laserstrahl über den optischen Tisch bahnen kann, laufen an einer Stelle zusammen: dem optischen Kopf. Der heißt nicht nur wegen der funktionalen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Gehirn – alle Eindrücke laufen hier zusammen, bevor sie gesammelt auf die Probe weitergeleitet werden – so. Auch im Aussehen erinnert der würfelige Aufbau, der über einen schmalen Stab mit dem bauchigen Kryostaten, in dem die Probe sitzt, verbunden ist, an einen roboterartigen Kopf. Den optischen Kopf hat Michelle zu Beginn ihrer Promotion gebaut. „Ich bin da schon ziemlich stolz drauf, weil der jeden Tag benutzt wird, nicht nur von mir“, erzählt sie. Und auch hier zeigt sich, wie vielseitig die Interessen der Doktorandin sind: Vom Designen mit einem Modellierungsprogramm über Absprachen mit der Werkstatt zur maßgenauen Fertigung der Bauteile bis zum Aussuchen der besten Spiegelhalter war Michelle für alles verantwortlich. „Der Aufbau hat mir wirklich sehr viel Spaß gemacht und macht mir immer noch viel Spaß, auch weil das wieder einmal sehr interdisziplinäre Arbeit war“, schwärmt die Doktorandin. „Und weil er einfach funktioniert und auch für andere Leute sehr sinnvoll ist“, ergänzt sie.

Was ihr hingegen häufiger Probleme bereitet, ist der „Körper“, auf dem der optische Kopf sitzt: Der Kryostat erwärmt sich häufiger mal ungewollt, was gefährlich für die empfindliche Probe werden könnte. „Das ist nicht so schön und das war eine große Herausforderung für mich, zu akzeptieren, dass ich da nichts dafür kann und auch erstmal nichts ändern kann“, erzählt die 27-Jährige. Sie könne sich überhaupt sehr gut in ihrem Büro verkriechen, um über ein Problem nachzudenken. Mittlerweile habe sie jedoch gelernt, wann es an der Zeit ist, eine Grenze zu ziehen und erstmal den Kopf frei zu bekommen: „Ich versuche dann, den Cut zu machen und mir zu sagen, ich mache mir jetzt ein schönes Wochenende und denke dann Montag wieder drüber nach.“ Und meistens klappt dann wieder alles deutlich besser.

Von Augsburg nach München

Geduld mit sich selbst zu haben würde Michelle auch anderen Nachwuchswissenschaftler:innen ans Herz legen, besonders zu Beginn der Promotion. „Geduld und dass man sich mit anderen Leuten austauscht“, fasst sie es zusammen. Am meisten würde man am Anfang von seinen Kolleg:innen lernen, wenn man einfach nachfragt. Dafür sei es auch wichtig, dass man sich in seiner Gruppe wohlfühle, meint die Doktorandin: „Mir hat es sehr viel geholfen, dass ich mir die Gruppe schon vorher angesehen habe. Das würde ich jedem empfehlen, mindestens für einen Tag die Gruppe zu besuchen, anzuschauen, wie sind die Leute, wie sind die Labore.“ Als MQV-Stipendiatin konnte sich Michelle aussuchen, welcher Forschungsgruppe an einer bayerischen Universität sie sich anschließen möchte. „Ich fand das eine sehr gute Idee, dass ich mich erst einmal bewerben konnte, aber mich noch nicht komplett festlegen musste“, erzählt sie. Also sah sie sich verschiedene Gruppen in Bayern an, die mit Quantenpunkten arbeiten und landete so schließlich bei Prof. Finley am WSI. „Immerhin habe ich es von Augsburg bis nach München geschafft“, meint die Doktorandin und lacht.

Ein Grund für Michelle, sich für die Gruppe Halbleiter-Nanostrukturen und Quantensysteme zu entscheiden sei gewesen, dass es sich um eine sehr internationale Gruppe handle: „Die Leute haben alle verschiedene Hintergründe. Das fand ich toll.“ Das internationale Arbeitsumfeld hatte ihr zuvor auch schon an ihrer Zeit in Kalifornien sehr gut gefallen. Bereits zwei Mal verschlug es die Doktorandin in den sonnigen Staat an der Westküste der USA, einmal für ein dreimonatiges Forschungspraktikum am Berkeley Lab, einmal für einen einmonatigen Forschungsaufenthalt an der UC Santa Barbara. Ihre Erfahrung dort kann die Doktorandin knapp zusammenfassen: „Sehr erfrischend!“ Die Art der Arbeit habe ihr dort sehr gut gefallen, es sei alles deutlich schneller und spontaner. „Außerdem ist es natürlich einfach schön. Dort geht man in der Früh zur Arbeit, die Sonne scheint. Man arbeitet, geht nach Hause, die Sonne scheint immer noch“, erinnert sie sich.

Ehrgeiz auch außerhalb des Labors

Auch abseits des Labors setzt Michelle sich gerne ambitionierte Ziele. Vor ein paar Monaten hat sie angefangen, auf der Eisbach-Welle zu surfen. „Ich kann es noch nicht so gut, aber das ist mein Freizeitziel für dieses Jahr“, erzählt sie. Die Eisbach-Surfer bewunderte sie früher bei jedem Besuch in München. Und jetzt, wo sie hier wohnt, will sie es unbedingt lernen. Bis zum Ende des Sommers möchte sie auf der Welle stehen können. „Auf der kleinen. Die große – mal schauen.“ Die Ausrüstung aus Anfängerboard und Neoprenanzug hat sie sich schon angeschafft. „Ich will das unbedingt können“, sagt Michelle nochmal mit Nachdruck und lacht.

Das Wasser ist ohnehin ihr Element, Michelle ist schon fast ihr ganzes Leben im Schwimmverein. Derzeit schwimmt sie „nur zum Ausgleich“, wie sie sagt, und nimmt an ein bis zwei Wettkämpfen pro Jahr teil, „einfach um die Leute von früher wiederzusehen“. Eine aktive Schwimmerin will sie sich heute nicht mehr nennen. Kein Wunder, denn ihre eigene Messlatte liegt hoch: Als Schülerin wollte Michelle eine Profi-Schwimmkarriere einschlagen, trainierte auf der Eliteschule des Sports in Erfurt 14 Mal die Woche. „Ich hatte dort einen Schulalltag, wo das Schwimmen fast über der Schule stand“, erinnert sie sich an ihre Zeit auf dem Pierre-de-Coubertin-Gymnasium. Schule, Internat, Schwimmhalle. Zweimal am Tag Schwimmtraining und einmal täglich Athletiktraining im Kraftraum. Auch wenn aus der Schwimmkarriere nichts wurde – was Durchhaltevermögen und Ehrgeiz angeht, konnte Michelle einiges mitnehmen. „Ich würde sagen, ich habe damals schon sehr, sehr viel gelernt für meine Promotion jetzt“, erzählt sie. Auch, wie man mit Rückschlägen umgeht: „Ich weiß, dass mal etwas kaputt gehen kann im Labor, dass etwas mal doch nicht so funktioniert, wie man dachte. Und dass man dann einfach weiter macht.“ Immer vor Augen: ihre langfristigen Ziele.

Veröffentlicht am 26. Juli 2024; Interview am 26. März 2024