Vom Physikstudium zunächst nicht allzu begeistert, entdeckte Ludwig Nützel schließlich seine Freude am Forschen. Heute entwickelt er Algorithmen für das Quantencomputing. Nie festgefahren auf eine Sache, sondern schon immer vielseitig interessiert und offen für all die lustigen Gegebenheiten, die der Alltag so bereithält, ergibt sich aus einer Spaß-Idee auch mal eine Nebenkarriere als QuantenSchafkopf-Experte.
Von Maria Poxleitner
Eine Gruppe junger Wissenschaftler:innen drängt sich um zwei Biertische. Die einen tragen indische Saris, andere japanische Kimonos, wieder andere einen Kaftan. Es ist der traditionelle Bayerische Abend der Nobelpreisträgertagung in Lindau am Bodensee, zu dem die jungen Gäste aus aller Welt eingeladen sind, in ihrer heimischen Tracht zu kommen. Unter ihnen sitzt Ludwig Nützel in Lederhose und blauer Weste und erklärt QuantenSchafkopf. Der 25-jährige Physiker hat das traditionelle bayerische Kartenspiel „Schafkopf“ um neue Regeln erweitert, die Phänomene der Quantenphysik aufgreifen. Und weil das so perfekt in den bayerischen Abend einer Tagung passt, die in diesem Jahr die Quantenphysik im Fokus hatte, wurde er kurzerhand vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst eingeladen, sein Spiel dort in das Rahmenprogramm einzubringen – der erste öffentliche Auftritt für QuantenSchafkopf.
„Ich war positiv überrascht, wie groß das Interesse am Spiel war“, erinnert sich Ludwig an den Abend in Lindau zurück. Die größte Hürde sei es nämlich, dass erstmal die – nicht ganz einfachen – klassischen Schafkopfregeln verstanden werden müssten. Die Quanten-Variante ergäbe sich dann aus ein paar simplen Zusatzregeln, meint deren Erfinder. So ist es beim QuantenSchafkopf zum Beispiel erlaubt, gleichzeitig zwei Karten zu spielen, was das Phänomen der Superposition aufgreift. Durch die zusätzlichen Regeln entstünden neue Taktiken, aber dass die Quanten-Variante lustiger sei als das traditionelle Spiel will Ludwig nicht behaupten: „Für mich ist das vor allem eine Art der Öffentlichkeitsarbeit. Mit dem Spiel können Grundkonzepte der Quantenmechanik spielerisch greifbar gemacht werden.“
Aus diesem Grund arbeitet der Physiker mittlerweile auch an einer Projektidee, wie QuantenSchafkopf im Schulunterricht eingesetzt werden könnte. Auch zum ersten Weltschafkopftag wurde er zuletzt eingeladen, um seine Erweiterung vorzustellen. Dabei habe er nie vorgehabt, dass das „groß wird“, meint Ludwig. „Es gibt Sachen, die finde ich lustig und dann schaue ich sie mir an oder mach’s halt einfach.“ Lustig fand er vor einigen Jahren auch die Überlegung, wie man einen Stich im Schafkopf mathematisch beschreiben könnte. Nicht, dass es einer solchen mathematischen Beschreibung bedurft hätte – „Es bringt nichts, das war einfach eine komische Überlegung“, meint Ludwig und lacht. Diese Überlegung hatte noch nichts mit Quantenphysik zu tun, gab später aber den Anstoß zu seiner QuantenSchafkopf-Idee. Dass sich für diese Idee, die ursprünglich nur als Joke gedacht war, nun so viele Leute interessieren, findet er witzig.
Position
Doktorand
Institut
FAU – Lehrstuhl für Quantentheorie
THEQUCO
Studium
Physik
Ludwig entwickelt Algorithmen für das Quantencomputing und versucht, diese so fehlerrobust und effizient wie möglich zu machen.
Dinge witzig finden – das ist etwas, was Ludwig nicht sonderlich schwer zu fallen scheint. So freut er sich auch über die regelmäßigen Eichhörnchen-Besuche am Bürofenster. Der „Eichhörnchen-Mix“, den er und seine Kollegen dafür im Büro bereithalten sieht Studentenfutter gefährlich ähnlich. Schmunzeln muss der 25-Jährige auch, wenn er an seinen 100-Kilometer-Marsch von Erlangen nach Würzburg zusammen mit einem Kollegen zurückdenkt. Nach stundenlangem Laufen über überwucherte und nicht erkennbare Waldwege im Dunkeln bei Regen, hatten sie das Pech, dass es auch tagsüber nochmal zu heftigen Regenfällen kam: „So was habe ich noch nie erlebt, das war eine richtige Sintflut“, erinnert sich Ludwig und muss lachen. Die letzte Stunde sei eine ziemliche Qual gewesen. Nun ist er neugierig, wie sich der 100-Kilometer-Marsch bei besseren Bedingungen gestaltet. Ein zweites Mal ist deshalb schon fest geplant.
Nicht unbedingt 100 Kilometer, aber Spazierengehen hilft ihm auch in seinem Forscheralltag: „Wenn ich merke, ich komme gerade auf keine Lösung, dann gehe ich raus. Beim Spazierengehen kommen oft Ideen“. Ludwig arbeitet am Lehrstuhl für Quantentheorie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Im Rahmen seiner Doktorarbeit forscht er an Algorithmen, mit denen Probleme auf Quantencomputern gelöst werden können und versucht, diese Algorithmen so fehlerrobust und effizient wie möglich zu machen. In seiner letzten Veröffentlichung geht es um einen Algorithmus für die chemische Forschung, eines der vielversprechendsten Anwendungsgebiete für das Quantencomputing. „Mit unserem Algorithmus wollen wir vorhersagen, wie sich ein Molekül bei einer chemischen Reaktion verhält“, erklärt der Doktorand. In der Veröffentlichung wurde speziell ein sogenanntes Metallchelat untersucht, dass sich aus einem Metallion und einem sogenannten Chelatbildner zusammensetzt. Chelatbildner spielen in vielen Bereichen eine Rolle, zum Beispiel im Haushalt als Wasserenthärter oder in der Landwirtschaft als Dünger. In der chemischen Industrie könnten Quantencomputer künftig helfen, die Entwicklung neuer oder besserer Verbindungen effizienter zu gestalten, erläutert der Physiker: „Bevor du die Verbindungen aufwendig im Labor herstellst und testest, kannst du das Verhalten simulieren.“
Ein entscheidender Schritt, um letztlich Aussagen über das Reaktionsverhalten eines Moleküls treffen zu können, besteht darin, dessen Grundzustand zu bestimmen, also den Zustand, in dem das Molekül am wenigsten Energie besitzt. Um das zu bewerkstelligen, kann der sogenannte „Variational Quantum Eigensolver (VQE)“ verwendet werden, ein Algorithmus, der bereits auf heute vorhandener Hardware laufen kann, da er auf NISQ-Computern funktioniert und keinen fehlerkorrigierten Quantencomputer voraussetzt. „Du hast einen Quantenschaltkreis, dessen Ergebnis den Quantenzustand des Moleküls beschreibt“, beginnt Ludwig die Funktionsweise des Algorithmus zu skizzieren. Dann probiere man, im Schaltkreis Parameter so anzupassen, dass bei erneutem Durchlaufen des Schaltkreises ein Zustand mit geringerer Energie herauskommt. „Und diese Schleife durchläufst du immer wieder, um die Energie möglichst niedrig zu bekommen.“ Bei dieser Suche nach den bestmöglichen Parametern spricht man auch davon, den Algorithmus zu trainieren. Genau hierin liege aber die große Schwachstelle des VQE, betont Ludwig: „Es gibt ein Riesenproblem mit der Trainierbarkeit.“ Wenn man die Parameter ändere, ändere sich die Energie nur minimal und je größer und komplexer das Molekül, desto stärker flache die Parameterlandschaft ab, beschreibt der Doktorand die Problematik. Man kann sich das ein bisschen vorstellen, als würde man in einer Hügellandschaft das tiefste Tal erwandern wollen, aber die Steigung und das Gefälle sind so gering, dass man nicht spürt, ob man gerade nach oben oder unten läuft.
Auch Ludwig und sein Team hatten ein Problem mit der Trainierbarkeit, konnten das Problem aber umgehen. Der Twist sei gewesen, nicht einfach den Standard-VQE anzuwenden, erklärt der Physiker, sondern einen Teil davon geschickt durch klassische Methoden zu ersetzen. Erst mit dieser Anpassung gelang es, die Grundzustandsenergie des Metallchelats genau zu bestimmen – und damit von einem Molekül, das deutlich komplexer ist als andere Moleküle, deren Verhalten bisher auf Quantencomputern simuliert wurde. Dass sei ein großer Erfolg gewesen, doch der Doktorand betont: „Ich sage nicht, dass unser Algorithmus skaliert.“ Bei noch größeren oder komplexeren Verbindungen werde es weiterhin zu Schwierigkeiten kommen. Aber vielleicht finde man dann eben eine andere Anpassung oder einen neuen Algorithmus, meint Ludwig – „Wir müssen Schritt für Schritt nach vorne gehen.“
Während seines normalen Unialltags ist Ludwig immer pünktlich um sieben Uhr morgens im Büro. So kann er, sofern es Meetings & Co. zulassen, am späten Nachmittag Feierabend machen. Denn genug Zeit für Hobbies, Freunde und Familie zu haben, liegt ihm am Herzen. Einen großen Teil seiner Freizeit bestimmt dabei die Tuba. Vor allem in der warmen Jahreszeit, wenn die Volksfest-Saison beginnt, ist er als Tubist in einem Verein für traditionelle Blasmusik sehr gefragt: „Im Sommer liegt meine Tuba immer im Kofferraum.“ Es lohne sich dann nicht, das wuchtige Instrument zwischen den Proben und vielen Auftritten immer wieder in die Wohnung zu schleppen, meint Ludwig. Zur Tuba gekommen ist er unerwarteterweise nicht in seiner fränkischen Heimat, sondern in Kalifornien. Während seines Auslandsaufenthaltes an einer High School in der Nähe von San Francisco habe es in der Schulband Trompeten im Überfluss gegeben: „Da bin ich dann eben auf Tuba umgestiegen“. Nach seinem Auslandsaufenthalt kaufte er sich von seinem ersten Ferienjobgehalt eine eigene Tuba, die ihn seither stets begleitet.
Physik zu studieren war nicht von Anfang an Ludwigs Plan. Nachdem er sein ursprünglich festes Vorhaben Pilot zu werden aus verschiedenen Gründen verwerfen musste, war die Physik der Plan B. In den ersten Semestern weckte das Studium nicht gerade seine Begeisterung. Er habe ernsthaft darüber nachgedacht, doch noch was anderes zu machen: „Ich habe zum Beispiel überlegt, Instrumentenbauer oder Bierbrauer zu werden.“ Da ihm aber nur noch ein Jahr zum Abschluss fehlte, wollte er es noch durchziehen. Im Nachhinein die richtige Entscheidung, denn: „Dann kam die Bachelorarbeit und das war dann etwas komplett anderes.“ Anstatt Vorlesungen und Übungen mache man dann richtige Forschung. „Vielleicht entdeckst du was, was vor dir noch keiner entdeckt hat – und so war’s dann auch und das war dann richtig cool.“
Nach dem Master in Würzburg entschied sich Ludwig für die Doktorarbeit zurück nach Erlangen zu gehen: „Da ist mein aktueller Fachbereich besonders gut vertreten.“ Außerdem schätze er die gute Vernetzung durch die Einbindung ins Munich Quantum Valley. So habe sich letztlich auch die Kollaboration mit Forschenden aus Innsbruck ergeben, auf deren Ionenfallen-Quantencomputer sie ihren Algorithmus experimentell umsetzen konnten. „Unseren Algorithmus kann man im Grunde auf jeder Hardware-Plattform laufen lassen“, ergänzt Ludwig, „allerdings nutzen wir aus, dass jedes Qubit mit jedem anderen Qubit direkt wechselwirken kann.“ Ionenfallen-Hardware, die diese „All-to-all-Konnektivität“ aufweise, sei deshalb besser geeignet als zum Beispiel supraleitende Hardware.
Das freie wissenschaftliche Arbeiten mag er sehr und die Themen an seinem Lehrstuhl gefallen ihm. Zwar denkt er auch heute noch manchmal darüber nach, dass es ihm auch gefallen hätte, eine Ausbildung zu machen und einen handwerklichen Beruf zu erlernen, aber rückblickend befindet er, dass alles perfekt gelaufen ist: „Ich finde es cool das Unbekannte zu erforschen. Ich bin jetzt glücklich, so wie es ist.“
Veröffentlicht am 31. Januar 2025; Interview am 26. November 2024