„Ich baue Science-Fiction-Computer wie aus Star Trek“

Das Fundament von Quantencomputern entwickeln

Als Elektroingenieur musste sich Johan Tsayem den Zugang zur Welt der Qubits erst selbst erarbeiten. Heute designt er Quantencontrol-Chips und entwickelt damit die Basis künftiger Quantencomputer.

Von Veronika Früh

Bunte Linien auf schwarzem Grund, die auch aus einem Videospiel der 80er-Jahre stammen könnten, flimmern über den Bildschirm von Johan Tsayem. „Wer gerne Tetris gespielt hat, wird sich in diesem Layout nicht fremd fühlen“, zieht er direkt einen ähnlichen Vergleich. Der 30-jährige ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen und designt Quantencontrol-Chips. Der schwarze Hintergrund auf seinem Bildschirm stellt eine Silizium-Platte dar, auf der er verschiedene Bauteile platziert.

Die Quantencontrol-Chips, die Johan entwickelt, sind gewissermaßen Teil des Fundaments von Quantencomputern: „Auf der Ebene unter uns sind eigentlich nur die Qubit-Chips. Wir sind die Leute, die die Ansteuerung bauen“, erklärt er. Sich bei den Review Meetings fachübergreifend mit den MQV-Kolleg:innen auszutauschen half ihm, das Gesamtsystem besser zu verstehen, auch wenn für ihn dort verschiedene Welten aufeinander prallten: „Was beispielsweise die Software-Entwickler machen, ist für mich ein großes Mysterium. Aber ich glaube, dass es denen andersrum genauso geht.“ Umso besser, sich bei regelmäßigen Treffen auszutauschen. „Es ist immer spannend zu erfahren, woran die anderen Gruppen gerade arbeiten. Es wird immer abgefahrener.“

Neue Wege in der Quantenelektronik

Dass Johan ausgerechnet Bauteile für Quantencomputer designt, war eher Zufall. An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat er Elektrotechnik und Informationstechnik mit einem Schwerpunkt in Mikroelektronik studiert. Nebenher hat er seit 2017 als Hiwi am Fraunhofer IIS gearbeitet, wo er auch seine Masterarbeit schrieb und nach dem Abschluss als Wissenschaftlicher Mitarbeiter einstieg. „Das Thema Quantencomputing kam im Rahmen eines Projekts auf mich zu“, erzählt er, und berichtet von Startschwierigkeiten: „Ganz am Anfang kam erstmal die totale Ernüchterung.“ Als Elektrotechniker in die Quantenmechanik einzusteigen sei gar nicht so einfach gewesen. Zunächst musste er für sich selbst einen Zugang zu dem komplexen Thema finden. „Ich muss natürlich nicht alles verstehen, aber ich musste zumindest verstehen, was für meine Arbeit relevant ist“, sagt Johan und lacht.

Der Unterschied zu seinen vorherigen Projekten in der klassischen Mikroelektronik sei dabei, dass es in der Quantenelektronik viel weniger Forschung gebe: „Man forscht ein bisschen im Dunklen, du weißt nicht, was rauskommt.“ Herausfordernd und spannend zugleich, findet Johan, denn so habe er die Möglichkeit, mit seiner Forschung einen echten Einfluss zu haben. „Ich bezeichne das ein bisschen als Pionierarbeit“, erzählt er, „unsere Ergebnisse sind wirklich relevant für alle anderen, die nach uns die Forschung vorantreiben“.

Aus Kamerun nach Bayern

Dabei kristallisierte sich Johans eigener Spaß an der Forschung in einer Ingenieurwissenschaft erst spät heraus. Eigentlich wollte er nach dem Abitur Wirtschaft studieren, doch die Wirtschaftskrise kam ihm dazwischen: „Mein Bruder hat gesagt, das ist das blödeste, was du jetzt machen kannst“, lacht er. Also nutzte er sein Talent in der Mathematik und entschied sich für Elektrotechnik. Ursprünglich aus Kamerun, machte er nach dem Abitur zunächst einen neunmonatigen Zwischenstopp in Clausthal-Zellerfeld in Niedersachsen, um Deutsch zu lernen. Mit dem Abschlusszertifikat in der Tasche konnte er dann sein Studium in Erlangen beginnen. Nach Bayern ziehen wollte Johan, weil sein Onkel in München lebt – aber dann doch nicht in die unmittelbare Nähe: „Familie, weißt du…“, sagt er und lacht.

Wenn Johan Familie und Freunden, die keinen Bezug zu Quantentechnologien haben, erklären soll, woran er arbeitet, bezieht er sich gerne auf Science-Fiction-Filme: „Ich sage, die coolen Computer, die darin vorkommen, sind genau die, die ich baue“. Und aus Star Trek kennen viele Quantencomputer. „Natürlich ist es komplexer als das“, räumt er ein, „aber ich will ja, dass sie sich etwas darunter vorstellen können.“ 

Johan Tsayem, 30


Position

Wissenschaftlicher Mitarbeiter


Institut

Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS)
SHARE


Studium

Elektrotechnik und Informationstechnik


Johan entwickelt Controller Chips für Quantencomputer und arbeitet damit am Fundament der Technologie. Mit seinen Chips, Application Specific Integrated Circuits (ASICs), die er jeweils für konkrete Anwendungsfälle designt, können einzelne Qubits angesteuert werden.

Mithilfe einer Software entwickelt Johan das Layout für seinen Chip mit den gewünschten Funktionen.

Chipdesign als kreativer Prozess

Wenn Johan einen Chip entwickelt, arbeitet er mit einer Software, mit deren Hilfe er auf einer grafischen Oberfläche Bauelemente platzieren kann. „Verschiedene Transistoren, Widerstände, Kapazitäten, Induktivitäten, alles was man sich so vorstellen kann“, erklärt er und zeigt auf bunte Linien und Formen, die er per Mausklick auf der schwarzen Oberfläche, die das Silizium darstellt, verschieben kann. Auf dem Bildschirm baut er zunächst bildlich eine Schaltung zusammen, um sie sich besser vorstellen zu können. Danach kann er das Verhalten simulieren und überprüfen, ob sie die gewünschten Eigenschaften hat. „Wenn man mit der schematischen Darstellung und der ersten Simulation zufrieden ist, geht es rüber zum Layout“, erklärt er, und öffnet ein weiteres Fenster auf seinem Bildschirm. „Hier sieht man die gleichen Schaltungen, aber das ist physisch. So sieht der Chip am Ende wirklich aus.“ Das Layout ist die Information, die dann bei der Herstellung auf einen Wafer – eine runde, etwa ein Millimeter dicke Scheibe, meist aus Silizium – übertragen wird.

Doch bevor es soweit ist, macht Johan eine sogenannte parasitäre Extraktion. Damit versucht er, ungewünschte physikalische Effekte, die nicht im Zusammenhang mit der gewünschten Funktion der Schaltung stehen, aber durch die Realisierung auftreten können, ausfindig zu machen. „Das kann ich nicht vorher ausrechnen, da kommen dann Sachen auf mich zu, die ich nicht im Blick hatte“, erklärt er. Wenn das Ergebnis schlechter ist, als seine Erwartungen, sind weitere Iterationen nötig, bis die Schaltung optimiert ist. Zur Herstellung des Chips wird das fertige Layout dann an eine Halbleiter Foundry, einen Fertigungsbetrieb, gegeben.

Obwohl der fertige Chip spezifische, vorgegebene Anforderungen erfüllen muss, ist der Weg dorthin ein sehr kreativer Prozess, beschreibt Johan: „Wie wir das Ziel erreichen, das hängt von uns ab und wie die Schaltung am Ende die gewünschten Anforderungen erfüllt, ist von Design zu Design unterschiedlich. Ein Kollege findet für das gleiche Problem einen ganz anderen Weg, aber solange es funktioniert, sind natürlich alle Lösungen gültig.“ Ein Design brauche vielleicht weniger Strom, habe aber dafür andere Nachteile. Je kreativer man selbst sei, desto mehr Neues könne man ausprobieren. „Das gefällt mir eben so gut an der Forschung, dass man einfach sehr viel ausprobieren kann. Besonders bei dem Projekt, an dem ich aktuell arbeite, konnte ich das viel machen“, freut sich der Wissenschaftler. Doch im Moment ist Geduld gefragt, denn das Layout befindet sich gerade in der Fertigung. Johan und sein Team warten jetzt darauf, dass der Wafer gefertigt, zu kleinen Chips zersägt und diese in einer Testplatine verbaut werden, die sie in ihrem Labor anschließen und testen können.

„Noch wissen wir nicht, ob der Chip am Ende funktioniert, aber ich glaube, ich habe ganz gute Karten“, meint Johan. Auf dieses aktuelle Projekt ist er besonders stolz, weil es ihm gezeigt hat, dass er auch auf sich selbst gestellt weit kommt. „Gerade als Anfänger wird einem immer über die Schulter geschaut, aber hier konnte ich den ganzen Prozess einmal eigenständig durchmachen. Bei Problemen kann man natürlich immer auf die anderen zugehen, aber letztendlich erfordert die Arbeit viel Selbständigkeit und ich bin froh, dass ich so einen Chip auch von A bis Z selbst entwickeln kann“, sagt er, und freut sich sichtlich.

Lösungen finden im Schlaf

Wenn er im Flow ist, sitzt der 30-Jährige auch gerne mal bis tief in der Nacht vor dem Computer: „So gegen Mitternacht bin ich besonders produktiv, meistens streckt sich das bis zwei Uhr nachts.“ Morgens geht er dafür gerne zum Sport. Wenn es allerdings einmal nicht so rund läuft, werden seine Tage länger und seine Nächte noch kürzer. „Ich gebe da nicht nach. Wenn ich eine Lösung nicht finde, kann ich nicht gut schlafen. Es muss einfach etwas rauskommen“, betont er. Ein Brainstorming kann dann auch bis vier Uhr nachts gehen – und hört nicht auf, wenn er doch einschläft: „Manchmal wache ich dann um sechs Uhr wieder auf und habe meinen Lösungsansatz“. Den er dann natürlich sofort zu Papier bringen muss. Wenn die Lösungen nicht im Schlaf kommen, kann sich Johan auch immer auf den Austausch mit Kolleg:innen verlassen.

Mittlerweile ist er auch selbst derjenige, der anderen über die Schulter schauen kann. Gerade betreut er seine erste Masterarbeit. Für ihn eine gute Gelegenheit, nochmal die Grundlagen durchzugehen und sein eigenes Verständnis zu vertiefen. Die Betreuung macht ihm sehr viel Spaß und er lernt viel dazu. Und er hat das Gefühl, damit etwas Gutes zu tun: „Es gibt solche und solche Betreuer, das hat denke ich jeder schon erlebt.“ Jetzt, wo er selbst diese Rolle hat, versucht er den Masterstudierenden möglichst gut zur Seite zu stehen.

Für Johan selbst steht demnächst erstmal die eigene Promotion an – vermutlich. Ganz entschieden hat er sich noch nicht, aber wenn er sein Projekt jetzt erfolgreich abschließt, kann er es sich gut vorstellen. 

 

Veröffentlicht am 27. Oktober 2023; Interview am 22. August 2023