„Einen Quantencomputer zu bauen ist keine Soloaufgabe“

Ein Ingenieursproblem nach dem anderen lösen

Komplexe Quantencomputing-Probleme lösen und dafür einmal um die halbe Welt ziehen – Emily Wright begreift ihre Promotion als ein einziges großes Abenteuer. Immer zwischen Theorie und Experiment wechselnd, erforscht sie am Walther-Meißner-Institut die Optimierung von Quantengattern und verliert dabei nie den Blick dafür, wie aufregend und fast magisch sie Quantencomputer findet. 

Von Veronika Früh

Als Emily Wright vor acht Monaten von Kanada nach München zog, gab es eine Sache, die sie unbedingt mitnehmen musste: „Meine Hockeyausrüstung!“, sagt sie mit einem Lachen. Als sie sich zum ersten Mal mit ihren neuen Kolleg:innen am Walther-Meißner-Institut (WMI) in Verbindung setzte und um Hilfe bei ihrer Anreise bat, sagte sie ihnen, dass sie mit ihrem Hockeyschläger und ihrer Hockeytasche leicht zu erkennen sein würde. „Sie dachten, ich würde sie auf den Arm nehmen, weil ich Kanadierin bin.“ Acht Monate später hat sich Emily voll und ganz in München eingelebt und promoviert am WMI auf dem Gebiet der optimalen Steuerung für supraleitende Quantenschaltkreise.

Das erste Mal, dass Emily mit Quantencomputing in Berührung kam, war vermutlich ein wenig ungewöhnlich. Während eines Praktikums bei der Bank of Canada besuchte sie einen Vortrag des Quantenhardware-Unternehmens D-Wave. „Es war das erste Mal, dass ich von der Idee der Quanteninformation hörte und davon, wie wir diese neue Vorstellung von Information und neue Wege der Informationsverarbeitung nutzen können“, erinnert sie sich. „Und das hat mich wirklich fasziniert.“ So sehr, dass sie nach ihrem Bachelor-Abschluss in Angewandter Mathematik und Ingenieurwesen an der Queens University in Kingston, Kanada, beschloss, einen neuen Weg einzuschlagen und einen Master-Abschluss in Physik an der University of Victoria zu machen. „Als ich anfing, mich für Quantencomputer zu interessieren, wollte ich ein bisschen mehr von der Wissenschaft dahinter verstehen und wie die physikalischen Implementierungen funktionieren“, erzählt die 24-Jährige. Die Tatsache, dass es sich hierbei noch um ein so offenes Feld mit so vielen technischen Herausforderungen handelt – von denen sie einige selbst lösen darf, wie sie schwärmt –, habe sie wirklich gereizt.

Schnelle Quantengatter entwickeln

Eines von Emilys Hauptprojekten im Rahmen ihrer Promotion ist die Entwicklung von schnellen Quantengattern mit Deep Reinforcement Learning. „Ich kann das ein wenig herunterbrechen, denn darin stecken ziemlich viele verschiedene Begriffe“, sagt sie mit einem breiten Lächeln. Ihr erster Berufswunsch – Lehrerin zu werden – wird deutlich, als sie tiefer in die Erklärung einsteigt. „Ich mag es, komplizierte Probleme in etwas zu übersetzen, das einfacher, lösbar und für andere Menschen verständlich ist“, fügt sie hinzu.

Ihr aktuelles kompliziertes Problem besteht darin, Mikrowellensignale, mit denen Qubits in einem supraleitenden Schaltkreis angesteuert werden, so zu formen, dass sie in einem Quantenschaltkreis, an dem sie interessiert ist, genau die gewünschte Operation ausführen. „Man sendet diese Signale in den Schaltkreis, ändert damit den Zustand des Schaltkreises und führt auf diese Weise eine Berechnung durch“, erklärt sie. Aber nicht alle Mikrowellensignale führen zu den gewünschten Operationen. Die Berechnung hängt von einer Vielzahl von Variablen wie der Frequenz oder der Leistung der Mikrowellensignale ab. Um die Form der Mikrowellensignale zu optimieren, setzt Emily maschinelles Lernen ein. Konkret handelt es sich dabei um Reinforcement Learning, eine Art des maschinellen Lernens, bei dem kein Modell des Systems erforderlich ist. Da Quantenhardware komplex und immer noch fehleranfällig ist, lässt sie sich nur schwer genau simulieren, wie die Doktorandin erklärt. „Ich habe mich für das Reinforcement Learning entschieden, weil es ein Programm ist, das direkt auf der Hardware lernen und diese Fehler berücksichtigen kann.“

Die Optimierung, die Emily anstrebt, bezieht sich auf die Geschwindigkeit der Quantengatter. „Eine Sache, die wir erreichen wollen, ist, dass die Gatter schneller werden, sodass wir mehr Gatter in kürzerer Zeit ausführen können“, erklärt sie. Quanteninformation hat eine endliche, kurze Lebensdauer, bevor Dekohärenz eintritt. „Irgendwann entweicht die Energie aus dem System, und man hat die Information nicht mehr wirklich. Deshalb möchte man so viele Operationen wie möglich durchführen, bevor das passiert“. Die Entwicklung schnellerer Gatter bringt jedoch eine weitere Herausforderung mit sich: „Um ein schnelleres Gatter zu haben, muss man mehr Energie in das System einspeisen, was wiederum zu Fehlern beiträgt“, fügt Emily hinzu. Hier setzt ihr Ansatz des maschinellen Lernens an – um einen Weg zu finden, diese beiden konkurrierenden Effekte zu optimieren. Die Doktorandin ist optimistisch, dass optimierte, schnelle Quantengatter leicht um die Hälfte kürzer sein könnten als der derzeitige Industriestandard. Und wie schnell sind „schnelle“ Quantengatter? Nun – sehr schnell. „Wir sprechen hier von Nanosekunden“, erklärt Emily, „etwa hundert Millionen Mal schneller als ein Blinzeln“.

Die Entwicklung schnellerer Quantengatter mit Reinforcement Learning war bereits das Thema von Emilys Masterarbeit. Während dieser Zeit arbeitete sie an dem Algorithmus und der Theorie dahinter. Für einen Proof of Concept konnte sie ihren Algorithmus auch auf der supraleitenden Hardware von IBM testen. „Ich konnte einmal zeigen, dass mein Algorithmus funktioniert und schnelle Gatter mit guter Qualität erzeugt“, erzählt die Doktorandin. „Aber das reicht nicht aus, um zu behaupten, dass es etwas ist, das jetzt jeder für die Herstellung seiner Gatter verwenden sollte.“ Das bringt sie zu dem, was sie an ihrer Doktorarbeit am WMI so schätzt – den täglichen Zugang zu den Laboren und der Quantenhardware. Ihr erstes Ziel ist der eindeutige Nachweis, dass ihr Algorithmus für Ein-Qubit-Gatter nützlich und erfolgreich ist. In Zukunft, so hofft sie, wird ihr Machine-Learning-Programm auch für ein Zwei-Qubit-Gatter geeignet sein.

Emily Wright, 24


Position

Doktorandin


Institut

Walther-Meißner-Institut (BAdW)
SQQC


Studium

Angewandte Mathematik & Physik


Emily arbeitet an der Entwicklung von schnellen Quantengattern. Mithilfe von maschinellem Lernen optimiert sie Mikrowellensignale, damit diese genau die gewünschte Operation in einem Quantenschaltkreis ausführen.

Emily im Labor am Walther-Meißner Institut. Die Kryostate sind sehr wartungsintensiv.

Von der Theorie zur Realität

Spannende Ingenieursprobleme zu lösen, wie Emily sagt, motiviert die 24-Jährige mit am meisten. Als sie zum ersten Mal mit der Quanteninformatik in Berührung kam, fand sie es interessant, dass alles mit „relativ einfacher linearer Algebra“ definiert werden kann – ihr Mathematikhintergrund kommt hier deutlich zum Ausdruck. „Von dieser Theorie, die wirklich überschaubar ist und mit der man leicht arbeiten kann, zur Realität eines so großen technischen Problems überzugehen, ist das, was mich antreibt“, sagt sie. „Ich meine, wie können wir das, was auf dem Papier steht, im wirklichen Leben, in unserem Labor, umsetzen.“

Zur Beantwortung dieser Frage arbeitet sie auch eng mit der Theorie-Gruppe von Steffen Glaser zusammen. Auch diese arbeiten daran  bessere – in diesem Fall robustere – Quantengatter zu entwickeln. Dafür nutzen sie numerische Simulationen. Quantengatter müssen gegen Schwankungen in den Parametern des Quantenchips robust sein, z. B. gegen Schwankungen in der Frequenz des Qubits, damit sie auch dann noch die gewünschte Funktion ausführen können, wenn das Mikrowellensignal leicht aus der Frequenz gerät. „Sie arbeiten daran, unsere Mikrowellensignale robust gegen Fehler zu machen“, erklärt Emily. „Die Realität ist jedoch, dass diese numerischen Simulationen nicht in der Lage sind, die Dynamik eines echten Quantenprozessors vollständig zu erfassen.“ Emily testet die Pulse, die sie von Glasers Gruppe erhält, experimentell: „Ich versuche, sie zu kalibrieren, damit sie auf unseren Quantenchips funktionieren, und dann überlege ich, wie wir die Simulationen verbessern können, um der Realität näher zu kommen.“ Das Ziel für die Zukunft ist es, einen Puls lediglich numerisch zu optimieren und ihn sofort auf einem Quantenchip zum Laufen zu bringen.

Angesichts der Tatsache, dass sie beide Seiten eines Problems kennt – sowohl die theoretische als auch die experimentelle Seite – fällt es Emily schwer zu entscheiden, welche Seite sie bevorzugt. „Ich glaube, ich habe während meiner gesamten bisherigen Laufbahn versucht, diese Frage zu beantworten, und habe es noch nicht herausgefunden“, sagt sie lachend. Und vielleicht ist es auch gar nicht nötig, sich für eine Seite zu entscheiden. Während ihrer gesamten akademischen Laufbahn hat sie an Projekten mitgewirkt, die beide Elemente enthielten. Und beide Seiten haben sicherlich Vor- und Nachteile. „Da ist die Frustration, wenn die Geräte nicht richtig funktionieren, aber auch die Befriedigung, wenn man sieht, dass etwas Konkretes passiert. Und in der Theorie macht es Spaß, den Gedanken freien Lauf zu lassen und das Problem zu ergründen. Aber es gibt auch die Herausforderung, keine Lösung zu haben, nicht einmal den Beleg, dass man in die richtige Richtung läuft. Deshalb finde ich es gut, wenn man beides abwechseln kann und auch sieht, dass es zusammen funktioniert.“

Ein typischer Tag für Emily beginnt mit dem Lösen von Gleichungen und dem Schreiben von Code – anschließend geht sie von ihrem Büro einen Stock tiefer ins Labor und führt ihre Experimente durch. Außerdem nimmt die Wartung der Kryostate, mit denen die supraleitende Hardware auf einige Millikelvin heruntergekühlt wird – „also wirklich, wirklich, wirklich kalt“ – einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch: „Heute Nachmittag werde ich wohl mehrere Stunden damit verbringen, eine der Pumpen zu warten, die wir für das Kühlsystem unseres Kühlschranks brauchen.“

Abenteuer innerhalb und außerhalb der akademischen Welt

Die größte Herausforderung für die Doktorandin besteht bisher darin, mit der Literatur und der Forschung aller anderen Gruppen und Unternehmen Schritt zu halten, die an ähnlichen Problemen arbeiten. „Es ist ein so boomendes Gebiet“, erklärt sie, „und es gibt jede Woche Hunderte von Veröffentlichungen, die ich durchsehen muss, weil ich sicherstellen will, dass meine Forschung immer noch neu und relevant ist.“

Aber es macht Emily auch sehr viel Spaß, ihr Wissen jeden Tag zu vergrößern. Dass sie die Möglichkeit hatte, ihren Horizont zu erweitern und von der Mathematik in die Physik wechseln konnte, macht sie besonders stolz. „Ich habe meinen Master in Physik begonnen, nachdem ich zuvor in Physik nichts anderes als klassische Mechanik belegt hatte. Und plötzlich bin ich in einem Quantenmechanikkurs auf Masterniveau“, erzählt sie. „Zum Glück ist darunter alles nur Mathe“, sagt sie lachend. Dass man durchaus in der Lage ist, sein Thema zu wechseln und seinen Horizont zu erweitern, indem man neue Dinge lernt, ist eine Botschaft, die der Doktorandin sehr am Herzen liegt.

Es deutet auch auf ihre abenteuerlustige Seite hin. Die Tatsache, dass sie für ihren Master zunächst quer durch Kanada vom Osten in den Westen gezogen ist und dann für ihre Promotion nach München – das, zumindest was die Flugzeit anbelangt, nicht viel weiter von ihrer Heimatstadt entfernt ist –, zeugt ebenfalls davon. Die Gewöhnung an ihr Leben in Deutschland fiel Emily ziemlich leicht. „Meine Kolleg:innen, von denen viele inzwischen Freunde sind, sind wunderbare Menschen. Ich wurde hier sehr gut aufgenommen“, erzählt sie. Ihre Familie in Kanada zurückzulassen, war natürlich eine Herausforderung, vor allem ihre Zwillingsschwester, der sie sehr nahe steht. „Aber alles in allem ist es einfach viel zu aufregend, als dass ich irgendetwas aus Kanada vermissen würde“, sagt sie mit einem breiten Lächeln.

Die Nähe Münchens zu den Bergen ist sicherlich hilfreich, denn ein großer Teil von Emilys Hobbys spielt sich dort ab: Klettern und Wandern, Skitouren und Skifahren ist das, was sie in ihrer Freizeit am liebsten macht. Und irgendwann, so hofft sie, kann sie ihr Mountainbike aus Kanada herbringen. „Ich meine, Kanada ist ja berühmt für seine Natur und Wildnis, und deshalb ist es für mich schon wichtig, diese Möglichkeiten zu haben“, sagt sie. Doch derzeit hat ihre Lieblingsbeschäftigung nichts mit den Bergen zu tun: „Im Moment spiele ich hauptsächlich Frisbee, das macht super viel Spaß!“ Sie ist einer Mannschaft beigetreten und nimmt an den Wochenenden an Turnieren teil.

Etwas Magisches entwickeln

Nicht nur im Sport schätzt Emily die Gemeinschaft, die sie in München hat, und die Quantencommunity, die das Munich Quantum Valley bietet, ist da keine Ausnahme. „Ich habe immer das Gefühl, dass ich, wenn ich mir bei etwas unsicher bin oder mit jemandem zusammenarbeiten möchte, mit Sicherheit jemanden finde, mit dem ich das machen kann„, sagt die Doktorandin. Und es ist nicht nur die Möglichkeit, mit anderen Instituten zusammenzuarbeiten, sondern vor allem die gebündelte Expertise innerhalb des Walther-Meißner-Instituts, die sie täglich aufs Neue begeistert: „Ich finde es toll, dass wir unsere eigenen Chips bauen. Und sie dann in unsere eigenen Kryostate stecken. Und dann unsere eigenen Experimente an ihnen machen. Und dass wir dafür so viele Expert:innen für verschiedene Dinge hier haben.“ Für sie ist es wichtig zu betonen, dass der Bau von Quantencomputern eine große Teamleistung ist: „Einen Quantencomputer zu bauen, ist keine Solo-Aufgabe. Und ich denke, es ist ein großes Privileg, dass ich hier mit so vielen Leuten arbeiten darf, die zusammenkommen, um etwas zu erschaffen, von dem ich immer noch glaube, dass es ein bisschen magisch ist“, fährt sie fort.

Mit Blick in die Zukunft, nach ihrer Promotion, kann sich Emily vorstellen, in der Industrie zu arbeiten, auch wenn sie die akademische Welt sehr liebt. Die Lehre macht ihr besonders viel Spaß, das hat sie auch mit zunehmendem Alter nicht verloren, wie sie bemerkt: „Der beste Weg, um sicherzustellen, dass ich den Stoff kenne, ist, anderen Leuten davon zu erzählen. Außerdem bekomme ich interessante Fragen von den Studierenden und muss mir überlegen, wie ich sie am besten beantworten kann.“ Die Arbeit als Ingenieurin nach ihrem Abschluss ist jedoch das, was sie als ihre Priorität betrachtet. „Ich mag die klar definierten Projekte und Ziele, die man in der Industrie finden kann und die in der akademischen Welt manchmal fehlen“, fügt sie hinzu. Ein Umzug zurück nach Kanada, wieder näher zu ihrer Familie, ist im Moment eine naheliegende Option für die Doktorandin. Kanada hat ein gutes Quanten-Ökosystem – aber das hat Deutschland auch, überlegt sie: „Ich habe im Moment wirklich keine Ahnung, aber ich denke, es gibt keine falsche Entscheidung. Es wird so oder so großartig werden.“ Und mit ihrer positiven Einstellung und ihrem Enthusiasmus wird es das sicherlich.


Veröffentlicht am 27. September 2024; Interview am 2. Juli 2024